Muss mein Hund etwas hergeben? Das ist eine Frage, die ich häufiger lese. Als Verhaltensberaterin und Pflegestelle für Hunde aus dem Auslandstierschutz beantworte ich sie jedoch differenziert.
Wenn ein Klient mit einem Hund in meine Sprechstunde kommt, der sich weigert etwas herzugeben und dies vielleicht sogar knurrenderweise kommuniziert, dann interessiere ich mich für seine Vorgeschichte. Wurde der Hund als Welpe adoptiert und lebt seither bei diesem Klienten, dann würde ich das Verhalten als durchaus bedenklich einstufen. Was ist schief gelaufen? Die vertrauensvolle Beziehung und oder die Konditionierung auf ein Signal, wie beispielsweise „Aus“ oder „Gib her“ sollten den Hund normalerweise veranlassen kooperativ zu sein und seine „Beute“ herzugeben. Es ist keine Selbstverständlichkeit, die man da von dem Hund erwartet. Beute freiwillig herzugeben muss erlernt werden. Das sollte man immer im Hinterkopf behalten, zur eigenen Sicherheit!
Ganz anders bewerte ich die Sache, wenn ich es mit einem Hund aus dem Auslandstierschutz zu tun habe. Hier kann ich erst einmal kein Vertrauen zum Menschen voraussetzen. Und ich weiß, dass es unter in Gruppen lebenden und sozial kompetenten Hunden nicht üblich ist, dem anderen etwas abzunehmen, wenn er es bereits für sich erobert hat. Mit Sicherheit würde ein Hund seine Beute verteidigen, wenn sie ihm ein anderer streitig machen will. Um Übergriffigkeiten dennoch vorzubeugen ist es hilfreich sich unauffällig zu verdrücken und die Beute in einem sicheren Versteck zu vertilgen oder sie ganz schnell runterzuschlucken. Kennen viele Hundehalter würde ich vermuten!
Man stelle sich vor in der Pizzeria zu sitzen und ein anderer Gast greift sich deine Pizza vom Teller, weil er keine Lust hat länger auf seine eigene zu warten. Wer würde sich das wohl gefallen lassen? Genauso geht es den Hunden auch.
Ich will keineswegs sagen, dass Hunde Futter grundsätzlich und gutmütig teilen. Sie setzen aber eher auf Vorbeugung anstatt auf Abnehmen, denn das könnte zu einem Kampf und zu Verletzungen auf beiden Seiten führen. Ein durchsetzungsstarker Hund ist in der Lage auf Distanz seinen Anspruch auf das begehrte Gut zu behaupten, so, dass sich gar nicht erst ein anderer Hund heran traut. Junghunde probieren es nach meiner Beobachtung dann schon mal trotzdem ganz gerne, einfach um zu sehen, wie weit sie gehen können. Ganz nah heranrücken und das begehrte Gut anstarren ist eine weitere Taktik, um anderen Hunden etwas abzuluchsen. Einem Hund mit weniger starken Nerven vergeht da schon mal die Lust an seiner Beute und er verzieht sich entnervt. Die Vehemenz all dieser Verhaltensweisen steht natürlich in Zusammenhang mit der Verfügbarkeit von Futter. Extremer Hunger und Nahrungsmangel setzt alle Gesetze außer Kraft. Aber man muss sagen, in vergleichbaren Situationen sind sogar Menschen schon zu Kannibalen geworden.
Das ist mein Hintergrundwissen, mit dem ich an ein solches Problem herangehe. Oder vielmehr ist es so, dass ich es bei einem Hund aus dem Auslandstierschutz nicht als Problem sondern als erwartbar betrachte. Das heißt nicht, dass ich das für alle Zeiten aktzeptiere, aber zuerst setzte ich auf den Aufbau von Vertrauen und einer kooperativen Beziehung mit dem betreffenden Hund.
Mein Lenjo aus Rumänien beispielsweise ist die Gutmütigkeit in Person, aber als er ankam, da war, ihm etwas wegzunehmen, keine gute Idee. Definitiv nicht.
Mit Erstaunen sehe ich immer mal wieder Trainervideos, die aber genau so etwas tun, sehr dicht herangehen, von rechts ziehen, von links ziehen, mit leicht nach vorne gebeugten Oberkörper, was sich aufgrund des Größenunterschieds kaum vermeiden lässt und wenn der Hund dann knurrt, dann wird behauptet, es sei ein Problemhund. Ich würde behaupten, so macht man aus einem Hund einen Problemhund.
Lenjo lässt sich schon lange bereitwillig Dinge aus dem Maul nehmen. Er hat wohl verstanden, dass bei uns kein Nahrungsmangel herrscht und immer alle was kriegen.